„Tango“ entlarvt den Stillstand: Die witzige Gesellschaftssatire feierte am Freitag Premiere an der Kluse.

 

Wuppertal. Wenn das Fehlen der Normen zur Norm geworden ist, hilft nur noch eines: Weil man nicht mehr prinzipiell alles verneinen kann, muss man eben ganz demonstrativ zum „Ja-Sager“ werden. Jedenfalls ist das für Artur (David Schirmer) eine logische Konsequenz. Der 25-Jährige, der sich im Elternhaus wie in einem „Bordell“ fühlt, „in dem nichts funktioniert, weil alles erlaubt ist“, will heiraten – aus Prinzip.

Doch genau das ist ein Problem: Ala (Anne-Catherine Studer), seine Auserwählte, ist nicht gerade die größte Romantikerin auf Erden – und auch Arturs Eltern sehen die Sache mit der Liebe eher nüchtern. Und überhaupt: Ihr Sohn möchte Arzt werden – wie furchtbar. „Eine Schande für die ganze Familie“, kommentiert Mutter Ela (Astrid Breidbach) und verzieht übertrieben-dramatisch das Gesicht. „Ich träumte davon, dass du Künstler wirst!“

 

Der ganz alltägliche Wahnsinn im Familienkreis


Es ist eine alles andere als traumhaft glückliche Familie, die die Wuppertaler Bühnen auf ihr Publikum loslassen: Slawomir Mrozek führt in seinem „Tango“-Spiel grotesk vor Augen, was im intimen Kreis passiert, wenn die Revoultionäre von einst in der Vergangenheit verharren und keine neuen Ziele haben.

Trotzdem gelingt der Regisseurin Iwona Jera das Kunststück, dass einem die Figuren bei aller Absurdität nahe kommen. Sie sind extrem unterschiedlich – und doch versteht der Zuschauer sehr schnell, welch menschlich-individuelle Motivation hinter ihrer mitunter allgemein-zynischen Maskerade steckt.

Der durchaus politisch zu sehende Generationen-Konflikt ist keine leichte Kost, wird an der Kluse aber sehr schmackhaft serviert. Dass der Dreiakter bekömmlich ist, liegt vor allem daran, dass Jera und ihr Ensemble gekonnt mit den Mitteln des Theaters spielen. Da fängt der Vater schon mal an zu singen, weil ihm ein Mitspieler eine Gitarre reicht, da geht der Sohn mit dem Sammel-Hut durchs Publikum, da werden die anderen in einem selbstherrlichen Anflug von Rage von der Bühne verbannt: „Raus! Ich habe noch Text.“

Und immer wenn es ins allzu Groteske oder gar Theatralisch-Selbstverliebte kippen könnte, wird die Notbremse gezogen und entstehen Momente ernsthafter Tragik. Zu den Höhepunkten gehört die (Nicht-)Aussprache zwischen Vater und Sohn. Der eine hat es sich als Rentner-Revolutionär bequem gemacht, schläft mitten im Gespräch ein und läuft mit offener Hose durch die Welt, weil er in jeder Hinsicht nicht eingeschnürt sein möchte. Der andere ist rast- und haltlos, weil alle Fesseln längst gesprengt sind: „Ihr seid alle so grauenvoll tolerant.“

 

Die politische Würze fehlt etwas – aber die Schauspieler überzeugen

 

Folkwang-Student David Schirmer ist eine echte Entdeckung. Auch Gast-Schauspieler Martin Engler fügt sich bestens ins Wuppertaler Ensemble ein und ist als Vater Stomil eine Idealbesetzung. Dazu kommt ein clever ausgetüfteltes Bühnenbild (Sami Bill), das vor allem aus sechs verschiebbaren Türen und Projektionen besteht – alles in allem also beweist, dass man im Kleinen Schauspielhaus keine große pompöse Kulisse braucht, um Akzente zu setzen. Am Ende liegen die weißen Türen wie ein Trümmerfeld am Boden – und auch die Familie ist längst zerbrochen.

Auch wenn die politische Ebene durchaus stärker durchschimmern könnte, verpufft die Wirkung der tiefgründigen Gesellschaftssatire nicht. Das liegt nicht zuletzt an Hans Richter, der seine Rolle als Großmutter vortrefflich ausfüllt, sich aber nicht in den Vordergrund spielt. Auch Anne-Cathrin Studer löst ihre Aufgabe bestens: Ala lockt mit wenig Kleidung, nackten Reizen und kaltem Charme, kann aber ebenso verzweifelt schreien. Astrid Breidbach als unterkühlte Mutter könnte ruhig etwas bärbeißiger sein, während Marco Wohlwend die undankbarste Rolle hat: Er mimt Eugen, den ewig aufgedrehten Familien-Clown.

So zeigt sich der Stillstand bis zur letzten Minute: Am Ende verbeugen sich die Darsteller in Zeitlupe. Das passt zu einem Abend, der ernst, aber auch sehr witzig ist – ein kurzweiliger Spaß, der jedoch lange nachwirken dürfte.